Fachbeitrag: Wie kann der Wirkstoff Remdesivir bei einer COVID-19 Erkrankung helfen?

25. Mai 2020

Ursprünglich wurde Remdesivir gegen Ebola entwickelt. Jetzt könnte sich der Wirkstoff als wirksames Mittel gegen die Lungenkrankheit COVID-19 erweisen, die durch das Coronavirus SARS CoV-2 ausgelöst wird. Jedoch ist Remdesivir weltweit noch nicht als Medikament zugelassen – auch nicht zur Ebola-Behandlung. Doch in den USA gilt seit Anfang Mai eine Ausnahmegenehmigung für den begrenzten Einsatz des Mittels in Krankenhäusern zur COVID-19-Behandlung. Nach ersten Studien empfiehlt dies auch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA). In Deutschland ist Remdesivir durch ein Arzneimittel-Härtefallprogramm für COVID-19-Patienten zugänglich. Weiterhin wird es innerhalb klinischer Studien getestet. Fragen rund um den Einsatz des Wirkstoffs beantwortet Prof. Dr. Andreas Günther, Ärztlicher Direktor und Chefarzt an der AGAPLESION PNEUMOLOGISCHE KLINIK WALDHOF ELGERSHAUSEN.

Wie lautet die Empfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde hinsichtlich des Einsatzes von Remdesivir? Worauf beruht diese Empfehlung?

Remdesivir ist zum jetzigen Zeitpunkt in der EU nicht zugelassen, auch (noch) nicht im Rahmen einer Notfallzulassung. Hingegen besteht in Japan eine reguläre Zulassung und in den USA eine Notfallzulassung, die eine Abgabe des Medikaments über staatliche Stellen möglich macht. Die EMA steht vor einer Entscheidung bzgl. der Notfallzulassung von Remdesivir, die Entscheidung wird am 28. oder 29. Mai 2020 erwartet. Allerdings wird Remdesivir im Rahmen eines Compassionate-Use-Programms auch in Deutschland eingesetzt. Der Bundesregierung  wurde eine begrenzte Menge Remdesivir zur Verfügung gestellt, um es im Rahmen einer vorübergehenden Ausnahmeregelung gemäß AMG-Zivilschutzausnahmeverordnung (AMGZSAV) an geeignete Patienten zu verteilen.

Welche Ergebnisse konnten erste klinische Studien zur Behandlung von COVID-19 mit Remdesivir liefern?

Remdesivir wurde bislang im Rahmen der COVID-Pandemie großzügig im Rahmen eines compassionate-use-Programms vom Hersteller Gilead weitergegeben. Die hierbei gewonnenen Daten sind jetzt zum Teil publiziert worden [Grein et al, NEJM April 10 2020, DOI: 10.1056/NEJMoa2007016]. Die Auswertung dieser Daten einer compassionate use Behandlung einer COVID-19 Kohorte, von denen immerhin 57 Prozent zu Beginn invasiv beatmet und weitere 8 Prozent mittels ECMO behandelt wurden, belegen unter der Remdesivir-Behandlung eine Verbesserung des klinischen Status in 36 von 53 Patienten (=68 Prozent). 57 Prozent der ursprünglich invasiv beatmeten Patienten konnten extubiert werden und 82 Prozent dieser Patienten überlebten. In Ermangelung einer Placebogruppe ist dies aber nicht sicher zu beantworten. Natürlich ist dies keine placebokontrollierte Studie und die Studiengröße ist recht klein, weswegen auf der Basis dieser Studie auch keine wesentlichen Rückschlüsse zur Wirksamkeit und Sicherheit von Remdesivir gezogen werden können.

Parallel hierzu fanden und finden derzeit eine Reihe von kontrollierten klinischen Studien statt (NCT04280705 unter Leitung des National Institute of Allergy and Infectious Disease USA mit n=1063; NCT04292899 unter Leitung von GILEAD mit n=6000). Mit Schreiben vom 1. Mai 2020 hat die FDA eine Erlaubnis zur Notfallbehandlung von schwergradig verlaufenden COVID-19 Infektionen (Sättigung unter Raumluft < 94 Prozent oder Sauerstoffpflichtigkeit oder invasive Beatmung oder ECMO) erteilt. Dies wohl auf der Basis bis dato nicht öffentlich zugänglicher, vorläufiger Daten aus diesen zwei erwähnten, noch rekrutierenden Studien von Gilead und vom NIH.

In einer Pressemitteilung des NIH (https://www.niaid.nih.gov/news-events/nih-clinical-trial-shows-remdesivir-accelerates-recovery-advanced-covid-19) wird berichtet, dass die Patienten unter Remdesivir eine schnellere Genesung (11 versus 15 Tage, p<0.001) und einen Trend zum verbesserten Überleben (8 versus 11,6 Prozent, p=0.059). In Ermangelung weiterer, bislang publizierter Daten muss man davon ausgehen, dass die Evidenzlage in den bisher nicht publizierten Daten so gut war, dass die FDA eine solche Notfallzulassung ausgesprochen hat. In der Annahme, dass bei dieser Entscheidung keine anderweitigen Interessen eine Rolle gespielt haben, muss zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass Remdesivir eine Wirksamkeit von schweren SARS-CoV-2-Infektionen entfaltet.

Was sind die Risiken beim Einsatz dieses Wirkstoffs?

In der oben erwähnten Studie [Grein et al, NEJM April 10 2020, DOI: 10.1056/NEJMoa2007016] wurden in 60 Prozent der Fälle Nebenwirkungen (adverse events) beobachtet, am meisten Leberwerterhöhungen, Durchfall, Hautausschläge, Blutdruckabfall und Niereninsuffzienz. 23 Prozent der Patienten zeigten schwergradige Nebenwirkungen (serious adverse events), hier vor allem Multiorganversagen, septischer Schock, akutes Nierenversagen und Kreislaufversagen, die natürlich unter Berücksichtigung des hohen Anteils invasiv beatmeter Patienten durchaus auch mit der Grunderkrankung in Verbindung gebracht werden können. In Ermangelung einer placebokontrollierten Studie ist eine Beurteilung dieses Profils an Nebenwirkungen und schweren Nebenwirkungen nicht möglich.

Welche Patienten könnten mit Remdesivir behandelt werden und wie äußern sich die konkreten Behandlungserfolge?

COVID Patienten können und sollten primär im Rahmen klinischer Studien mit Remdesivir behandelt werden. An den beiden randomisierten Phase-3-Studien „SIMPLE“ zum Einsatz von Remdesivir gegen COVID-19 (NCT04292899 und NCT04292730) sind folgende deutsche Prüfzentren beteiligt:

  • Universitätsklinikum Düsseldorf: Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie
  • Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: I. Medizinische Klinik und Poliklinik
  • Klinikum München Schwabing: Klinik für Hämatologie, Onkologie, Immunologie, Palliativmedizin, Infektiologie und Tropenmedizin
  • Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München: Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II
  • Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum: Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie
  • Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart: Dr. Margarete Fischer-Bosch Institut für Klinische Pharmakologie
  • Klinikum St. Georg gGmbH Leipzig: Klinik für Infektiologie/Tropenmedizin, Nephrologie und Rheumatologie
  • Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel: Klinik für Innere Medizin I

An der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-3-Studie des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NCT04280705), in der die Sicherheit und Wirksamkeit von Remdesivir bei COVID-19 untersucht werden, nehmen in Deutschland folgende Zentren teil:

  • Universitätsklinikum Bonn, Medizinische Klinik I,
  • Universitätsklinikum Frankfurt, Medizinische Klinik II,
  • Universitätsklinikum Köln, Klinik I für Innere Medizin

Wie schätzen Sie den Einsatz von Remdesivir ein?

Remdesivir ist ein Nukleosidanalogon, das die virale RNA Polymerase blockiert und als ursprüngliches Virustatikum zur Behandlung der Ebola- bzw Marburgvirusinfektion entwickelt wurde. Die bislang den Zulassungsbehörden vorliegenden Daten zur Wirksamkeit in COVID Patienten sind bis dato nicht veröffentlicht und auch nicht anderweitig einsehbar. Aus diesem Grund ist eine Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt kaum möglich.

Auf dem Boden der in vitro-Wirksamkeit dem SARS-CoV-2 Virus gegenüber und den ersten kommunizierten, aber nicht weiter geprüften Daten der klinischen Studien ist von einer gewissen Wirksamkeit auszugehen. Dies muss aber im Rahmen der laufenden Studien bestätigt werden – genauso wie das Sicherheitsprofil des Medikamentes genau beschrieben werden muss.