Wann sollte ich mich genetisch auf Brustkrebs testen lassen?

21. August 2019

Seitdem genetische Testverfahren zum Thema Brustkrebs angeboten werden, fragen sich viele Frauen, ob Sie sich testen lassen sollten und welches die möglichen Konsequenzen sein könnten. Die Hintergründe des BRCA-Testverfahrens und welche Möglichkeiten es bei einem positiven Testergebnis gibt, erklärt Prof. Dr. med. Marc Thill vom AGAPLESION MARKUS KRANKENHAUS in Frankfurt.


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Was hat es mit dem sogenannten Burstkrebsgen BRCA auf sich?

Marc Thill: Es gibt unterschiedliche Gendefekte, auch Mutationen genannt, die mit der Entstehung des Mammakarzinoms, also Brustkrebs, in Verbindung gebracht werden. BRCA1 und BRCA2, also die Kurzform für BReast CAncer 1 und 2, sind die bekanntesten und relevantesten. Sollte sich bei einem Gentest herausstellen, dass eine Mutation in einem dieser Gene vorliegt, kann man überlegen, das Brustdrüsengewebe und oder die Eierstöcke prophylaktisch entfernen zu lassen. Die Brust wird danach durch Eigengewebe oder mit Implantaten wieder aufgebaut.
Angelina Jolie ging vor wenigen Jahren als prominente Persönlichkeit zuerst an die Öffentlichkeit, dass bei ihr ein 87-prozentiges Risiko berechnet wurde, bis zum 80. Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken. Bei Frau Jolie wurde eine BRCA1-Mutation festgestellt und sie entschied sich, zuerst die Brüste und dann die Eierstöcke entfernen zu lassen. Seitdem wird das Thema wesentlich intensiver diskutiert.

Wann sollte eine gesunde Frau diesen Test machen?

Marc Thill: Das kommt auf die Anzahl der Brustkrebserkrankungen in der Familie oder den Brustkrebstyp an. Bei rund 30 Prozent aller Frauen mit Brustkrebs lässt sich eine familiäre Häufung der Krankheit feststellen, bei 5-10 Prozent ist die Erkrankung dabei auf einen Gendefekt zurückzuführen. Je mehr Familienmitglieder an Brust- oder Eierstockkrebs in der Familie erkrankt sind und je jünger sie zum Zeitpunkt der Diagnose waren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Patientin eine Mutation vorliegt.
Das Deutsche Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs hat Kriterien definiert, wann genügend Hinweise auf eine erbliche Belastung vorliegen und ein Test empfohlen wird. Sind diese erfüllt, wird nach einer ausführlichen Beratung die genetische Testung vorgenommen, die Kosten dafür werden dann auch von den Krankenkassen bezahlt. Die Entscheidung zu einem Gentest sollte allerdings nicht leichtfertig getroffen werden und auch erst dann durchgeführt werden, wenn die möglichen Konsequenzen von der betroffenen Frau mitgetragen werden.

Eine prophylaktische Entfernung der Brust senkt das Erkrankungsrisiko für Brustkrebs um 95 Prozent

Wie hoch ist bei einem positiven Test die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken?

Marc Thill: Bei einer BRCA1-Mutation liegt das Risiko bis zum 70. Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken bei 65 bis 75 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit an Eierstockkrebs zu erkranken liegt bei 35 bis 60 Prozent. Bei einer BRCA2-Mutation liegt die Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken bei 50 Prozent, an Eierstockkrebs erkranken 14 bis 15 Prozent der Patientinnen mit der Gen-Mutation. Die Unterscheidung der Wahrscheinlichkeiten für Brust- und Eierstockkrebs ist nicht unwichtig: So können circa 82 Prozent der Brustkrebspatientinnen geheilt werden, während bei Eierstockkrebs lediglich 40 Prozent die ersten fünf Jahre überleben. Außerdem ist Brustkrebs leichter zu diagnostizieren, da man die Brust besser abtasten und untersuchen kann. Die Eierstöcke sind aufgrund ihrer Lage im Körperinneren schwer erreichbar und daher schwer kontrollierbar, weswegen Eierstockkrebs auch oft so spät diagnostiziert wird.

Welche Vorteile hat bei einem positiven Test die Entfernung des Brustgewebes oder der Eierstöcke?

Marc Thill: Eine prophylaktische Entfernung der Brust senkt das Erkrankungsrisiko für Brustkrebs um 95 Prozent, eine prophylaktische Entfernung der Eierstöcke und Eileiter das Erkrankungsrisiko für Eierstockkrebs um 97 Prozent. Sieht man sich die Zahlen an, liegen die Vorteile klar auf der Hand. Hinter diesen Angaben verstecken sich jedoch noch weitere Details: Bei einer BRCA1-Mutation wird eine Eierstockentfernung zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr empfohlen, bei einer BRCA2-Mutation zwischen dem 40. und 45. Lebensjahr. Eine Brustentfernung, sollte sie durchgeführt werden wollen, wird bei einer positiven Testung auf BRCA1 bereits ab dem 25. Lebensjahr empfohlen.

Empfehlen sie dann jeder positiv getesteten Patientin eine Entfernung?

Marc Thill: Nein, eine Entfernung der Brüste oder Eierstöcke ist nicht mandatorisch durchzuführen. Aktuell entschließt sich circa jede fünfte Frau mit einer BRCA1/2-Mutation, eine prophylaktische Brustentfernung durchzuführen. Die individuelle Lebenssituation der Frau spielt bei solchen Überlegungen eine große Rolle – gerade wenn wir von jungen Frauen reden. Da kommen viele Fragen auf, zum Beispiel: Möchte die Patientin noch Kinder haben? Wie sieht es mit dem Stillen aus? Auch, dass bei einem anschließenden Brustaufbau die Brustimplantate spätestens alle fünfzehn Jahre gewechselt werden sollten, muss bedacht werden.
Außerdem muss man sich im Klaren sein: Ein Brustkrebs, der seine Ursache in einem Gendefekt hat, ist nicht automatisch aggressiver als ein nicht erblicher. Man kann sich statt einer Entfernung auch für eine Watch-and-Wait-Strategie entscheiden, also eine engmaschige Überwachung und intensivere Vorsorge bis zum 50. Lebensjahr – etwa mit einer jährlichen MRT-Kontrolle, hinzu kommt alle drei Monate eine Ultraschall-Tastuntersuchung der Brust. Selbst wenn dann Brustkrebs diagnostiziert werden würde, hätten wir mit einer frühzeitigen Behandlung gute Chancen, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Bei Eierstockkrebs sieht das leider etwas anders aus: Aufgrund der höheren Sterberate einer an Eierstockkrebs erkrankten Frau lassen sich auch mehr Patientinnen prophylaktisch die Eierstöcke entfernen als die Brust.