Wie macht man ein Krankenhaus fit für Menschen mit Demenz?

29. August 2019

Bis 2050 wird die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen weltweit voraussichtlich auf 131 Millionen ansteigen. Wie Krankenhäuser darauf reagieren sollten, erklären hochkarätige Experten nun gebündelt in nur einem Praxisbuch zum demenzsensiblen Krankenhaus. Warum sie dieses Buch machen wollten, fragen wir die drei Herausgeber im Interview.


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Weswegen wollten Sie sich dem Thema "Demenzsensibles Krankenhaus" widmen. Entstand dieses Bedürfnis im Laufe der Zeit in Ihrer Tätigkeit oder gab es hierfür womöglich ein Schlüsselerlebnis?

Markus Horneber: Als Gesundheitskonzern mit einem geriatrischen Schwerpunkt bekommen wir bei AGAPLESION viele Entwicklungen schon früh zu spüren. Bei meinen Besuchen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen habe ich die professionelle und demenzsensible Arbeit wahrgenommen und überlegt, welche Erfahrungen und Konzepte wir in die Krankenhäuser übertragen können. Der Umgang mit Demenz wird auch im Krankenhaus immer wichtiger: Im Jahr 2050 werden rund ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland über 65 Jahre alt sein, parallel steigt die Lebenserwartung immer weiter an. Da Demenz meist im gehobenen Alter auftritt, wird sich auch der Kreis der demenziell Veränderten automatisch vergrößern. Und dadurch wird dieses Thema jedem von uns bald irgendwo im Alltag begegnen – ob im Krankenhaus oder auf der Straße.

Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Buch?

Janine Hübner: Uns war wichtig, die vielen Facetten, die das demenzsensible Krankenhaus ausmachen, in einem Gesamtwerk abzubilden. Dabei haben wir uns entschieden, das Buch praxisorientiert aufzubauen. Wir sehen unser Werk als eine Art Werkzeugkoffer, aus dem sich jeder herausnehmen kann, was er benötigt, um sein Krankenhaus demenzsensibel aufzustellen. Ob mit einem umfassenden Ansatz oder Schritt für Schritt, muss individuell entschieden werden. Wir möchten mit unserem Buch alle Beteiligten im Krankenhaus, von der Pflege über Ärzte bis zum Management, vom Mitarbeiter bis zur Führungskraft, motivieren, diesen Weg zu beschreiten.

Weswegen ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, auf die Bedürfnisse von Patienten mit Demenz ganz besonders einzugehen und wieso wurde dies bislang nicht stärker berücksichtigt?

Rupert Püllen: Bei AGAPLESION behandeln und betreuen wir Menschen in allen Lebensphasen, das ist die praktische Umsetzung unseres diakonischen Auftrages. Vor allem besonders vulnerablen Personen, wie älteren und demenzerkrankten Menschen, schenken wir hier besondere Aufmerksamkeit. Wir sehen die uns anvertrauten Menschen als Ganzes. Somit sind auch die Besonderheiten, die demenzielle Erkrankungen mit sich bringen, ein Teil von ihnen. Es ist unsere Aufgabe, uns beispielsweise nach einem Sturz nicht nur auf eine Schenkelhalsfraktur zu fokussieren, sondern auch die Demenzerkrankung als zusätzliche Herausforderung miteinzubeziehen. Leider wird vielerorts auch heute noch diese umfassende Versorgung eher als eine Art Kür gesehen. Die Realität im Krankenhaus ist von vielen Standards geprägt, die eine hohe und gleichbleibende Qualität sicherstellen sollen. Menschen mit Demenz lassen sich aber nicht in Standards pressen. Daher ist es unsere Aufgabe, die Strukturen und Prozesse demenzsensibel zu denken und an den Betroffenen auszurichten.

Ihr Buch richtet sich insbesondere an Fach- und Führungskräfte aus den Bereichen Medizin, Pflege, Management sowie Berater im Gesundheitswesen. Haben Sie in der jüngsten Vergangenheit bereits ein Umdenken hin zu einem demenzsensiblen Krankenhaus beobachten können?

Markus Horneber: Zumindest kann ich bestätigen, dass inzwischen immer mehr Fach- und Führungskräfte in der Gesundheitsbranche die hohe Relevanz des Themas erkennen. Allerdings gibt es häufig mehr Fragen als Antworten und vieles befindet sich erst im Aufbau. Bei AGAPLESION hat das Thema höchste Priorität, auch vor dem Hintergrund, wie wir uns als Konzern in Zukunft ausrichten sollen. Wir haben eine konzernweite Lenkungsgruppe gebildet, die sich mit Demenz insgesamt und dem demenzsensiblen Krankenhaus im Speziellen befasst. In unseren Einrichtungen forschen wir zum Thema und erproben intensiv Lösungen. So ist beispielsweise unser Standort in Darmstadt, an dem wir das ganze Spektrum der ambulanten wie stationären Gesundheitsversorgung anbieten, komplett demenzsensibel aufgestellt. Andernorts setzen wir auf technische Lösungen wie Assistenzroboter, um den Pflegekräften einfache Serviceaufgaben abzunehmen, damit mehr Zeit für den persönlichen Austausch mit den Patienten bleibt.

Welcher Teil der gesamten Arbeit hat Ihnen als Herausgeber am meisten Spaß bereitet und welcher war wiederum der Anstrengendste?     

Janine Hübner: Spannend war für mich zu Beginn vor allem die Auseinandersetzung mit den vielen Perspektiven, aus denen man die Erkrankung betrachten kann. Jede Sichtweise hat dabei ihre Berechtigung und ihren Stellenwert, sodass die Herausforderung darin lag, aus der Themenfülle ein schlüssiges Konzept zu erstellen. Die größte Herausforderung für uns bestand sicherlich darin, im Herausgeberteam immer wieder an der Ausrichtung des Werkes zu feilen, die Beiträge kritisch zu reflektieren und diese in einem engen Austausch mit den Autoren zu finalisieren. Als sich dann nach und nach das Buch durch unsere Autoren mit Leben füllte, war das schon ein sehr schönes Gefühl.

Zum Abschluss des Interviews noch eine letzte Frage: Haben Sie einen Ratschlag oder eine Anregung für den Leser, bevor er Ihr Buch aufschlägt und liest?

Dr. Rupert Püllen: Wir sehen das Werk als einen Werkzeugkoffer, den man in Gänze nutzen kann oder sich nur einzelner Elemente bedient. Wenn man das Thema auf allen Ebenen verstehen will, kann das Werk im Ganzen gelesen werden. Ist aber ein bestimmter Prozess oder eine Fragestellung gerade besonders wichtig, kann man hier sehr zielgerichtet in diesen Fokus eintauchen. Zudem kann man als Leser durch die vielen Verweise in den Kapiteln verbundene Themen entdecken.