Alveolarkammatrophie

23. Februar 2015

Bei der sogenannten Alveolar- oder Kieferkammatrophie bildet sich der Knochen des Ober- und Unterkiefers nach Zahnverlust zurück. Um diesen Vorgang erklären zu können, ist es wichtig zu verstehen, dass nahezu alle Gewebe im menschlichen Körper einem Gleichgewicht aus Auf- und Abbau unterliegen.

So gibt es im Knochengewebe spezielle Zellen, die für den Abbau zuständig sind und solche, die Knochen aufbauen. Ähnlich wie beim Muskeltraining werden die Zellen, die Knochensubstanz aufbauen, meist dadurch angeregt, dass der Knochen belastet wird. Sind beide Prozesse im Gleichgewicht, ändert sich die Form des Kiefers nicht. Fällt dieser Belastungsreiz jedoch weg, so wird der Knochenaufbau gebremst und der Abbau überwiegt: Der Knochen nimmt langsam an Masse ab.

Zähne sind im Kiefer durch Haltefasern in ihren knöchernen Zahnfächern verankert. Diese sorgen dafür, dass beim Kauen die senkrecht auf den Zahn wirkenden Kräfte in den Knochen umgeleitet werden. Diese Belastung schafft einen Wachstumsreiz, der so groß ist, dass er die Tendenz zum Knochenabbau ausgleicht und diesen so verhindert. Wird nun ein Zahn oder werden mehrere Zähne gezogen, so werden keine Belastungen mehr in den Kieferknochen umgeleitet. Der Knochenabbau überwiegt und es kommt zur Atrophie (=Gewebeabbau).

Welche Folgen hat der Knochenabbau?

Als Folge der voranschreitenden Atrophie verlieren die Ober- und Unterkieferkämme nicht nur an Höhe, sondern werden auch schmaler. Beim Oberkiefer geschieht dies vor allem an der Außenseite des knöchernen Kieferkamms, beim Unterkiefer wiederum an der Innenseite.

Wird keine Prothese getragen, resultiert daraus die typische Gesichtsform des Zahnlosen: Der untere Anteil des Gesichts wirkt weniger hoch als beim Vollbezahnten und der Unterkiefer steht vermeintlich vor. Das empfinden viele Patienten natürlich als ästhetisch sehr störend. Zudem kann feste Nahrung ohne Zähne nicht mehr ausreichend zerkleinert werden. Man muss größtenteils weiche Kost essen, was einen zusätzlichen Verlust an Lebensqualität bedeutet.

Daher entscheiden sich viele Patienten zunächst für eine Prothese, die den Knochenabbau durch die gleichmäßig aufs Zahnfleisch verteilte Belastung zumindest verlangsamt. Hierbei ist es jedoch von Bedeutung, regelmäßig den Zahnarzt aufzusuchen und einen guten Sitz der Prothese zu gewährleisten. Denn eine Prothese, die beispielsweise wackelt, führt zu Fehlbelastungen, die den Knochenabbau wiederrum begünstigen.

Eine Abhilfe können hier fest im Knochen verankerte Zahnimplantate bringen. Sie gewährleisten eine konstante Belastung auf den Kieferkamm und können so den Rückgang der Knochensubstanz stoppen.

Wie erfolgt die Diagnose?

Eine Alveolarkammatrophie hat zunächst keinen Krankheitswert, sofern sie ein gewisses Maß nicht übersteigt und z. B. dazu führt, dass eine Vollprothese keinen Halt mehr aufweist oder aufgrund massiver Instabilität des Knochens zu Spontanfrakturen führt. Da dies selten der Fall ist, ist eine Diagnostik hinsichtlich des Grades einer Kieferkammatrophie am häufigsten von Bedeutung bei der Versorgung mit Zahnimplantaten.
Dabei müssen sich der Zahnarzt oder Kieferchirurg im Bereich der gewünschten Implantation ein Bild über das Ausmaß der Kieferkammatrophie machen, denn natürlich gilt: je mehr Knochensubstanz, desto besser der Halt des Implantates.

Basisdiagnostische Maßnahmen wie die Röntgenübersichtsaufnahme der Kiefer, als OPG (Orthopantomogramm) bezeichnet, zeigen nur den Höhenverlust des Kieferknochens durch die Atrophie, machen aber keine Aussage über die Dicke des Kieferknochens von außen nach innen. Hierzu ist die Anfertigung einer dreidimensionalen Bildgebung wie CT (Computertomographie) oder DVT (Digitale Volumentomographie) unumgänglich.

Welche Therapie wird empfohlen?

Um eine Kieferkammatrophie nach der Extraktion (= Ziehen) von Zähnen zu verhindern, ist es ratsam, zeitnah nach Abheilung der Extraktionswunden eine Versorgung mit einer Prothese oder Implantaten anzustreben.

Ist die Atrophie bereits zu weit vorangeschritten, um sicheren knöchernen Halt für ein Implantat zu gewährleisten, so kann der Knochen operativ aufgebaut werden. Dabei kann z. B. bei der sogenannten Onlay-Osteoplastik unter lokaler Betäubung ein kleines Stück autologen (= eigenen) Knochens aus dem Kieferwinkel und im gewünschten Bereich auf den knöchernen Kieferkamm gelegt werden. Die Stabilität des Kieferwinkels bleibt hiervon unbeeinträchtigt. Auch dient der Beckenknochen häufig als Entnahmestelle.

Insbesondere im Oberkiefer wird die Kieferkammatrophie vor Implantatversorgung gerne mit einem sogenannten Sinusbodenlift behandelt. Dabei wird die Kieferhöhle vom Mund aus eröffnet: Anschließend wird auf den knöchernen Kieferhöhlenboden, der gleichzeitig die obere Begrenzung des Oberkieferknochens darstellt, etwas Knochengewebe unterhalb der Kieferhöhlenschleimhaut platziert. Nach einigen Monaten sollte das Knochengewebe soweit eingeheilt sein, dass genügend Substanz für einen sicheren Halt des Implantates vorhanden ist.


Autor:
Steffen Schöpper, Weiterbildungsassistent MKG, AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM ROTENBURG